Nach einer etwas längeren Pause melden wir uns an diesem späten Mittwochabend aus Oklahoma City, Oklahoma zurück. Die letzten beiden Tage (Montag und Dienstag) waren geprägt von vielen Stunden im Auto, Besuchen in einem verschlafenen kleinen Städtchen in Oklahoma und, last but not least, geprägt von schweren Unwettern, wie wir sie in Deutschland weder in dieser Intensität noch in dieser schnellen zeitlichen Abfolge bisher nicht erlebt hatten.
Die Dynamik und die Schnelligkeit, die die Atmosphäre hier in den Great Plains an den Tag legen kann, hat uns nicht nur erstaunt sondern auch ziemlich geschafft. Montagabend kamen wir erst nach 3h30 ins Bett und gestern Abend auch erst gegen 2h00 früh.
Doch nun im einzelnen...
Was ist genau seit Montag Früh passiert? Nach einer ruhigen Nacht in einem Motel der etwas niedrigeren Klasse im westlichen Oklahoma City (mit echter Motel-Atmo; siehe erstes Foto) starteten wir den Tag mit einem kleinen, aber recht feinen "continental breakfast" und viel Sonne. Ein böiger Südwind führte schon bald recht feuchte und warme Luft aus Südtexas und dem Golf von Mexiko nordwärts und die kräftige Maisonne (deren Intensität hier in etwa mit der in Sizilien vergeichbar ist) heizte die unteren Schichten der Atmosphäre stark auf. Ab und an zogen ein paar kleinere Wolken durch und das SPC (Storm Prediction Center, Sturmvorhersagezentrum) in Norman, Oklahoma gab ein Slight Risk (leichte Gefahr für Schwergewitter) für Teile von Nordwest-Oklahoma und Kansas heraus. An diesem Montag Vormittag war aber noch alles im grünen Bereich, das bedeutete für uns also (nach einem ausführlichen Datencheck im Motel) einen gemütlichen Aufenthalt in einem Western Store mit Namen Shepler´s. Man stelle sich einen durchschnittlich großen C&A vor, der voll ist von Cowboyklamotten, Stetson-Hüten und allerlei anderem Western und Cowboy-Outfit. Ein wenig was mussten wir dann einfach auch kaufen...
Kurz nach Mittag ging es dann aus OKC (Okla. City) raus nach Norden in Richtung Staatsgrenze Kansas. Unser Zielgebiet (eine Region, in der schwere Gewitter und Tornados entstehen könnten und die sich Stormchaser nach ausführlichem Check aller Daten, Karten und Prognosen aussuchen) lag knapp westlich von Wichita in Südkansas. Also ging es "northbound" auf der I-35. Da wir aber recht viel Zeit hatten, ließen wir uns einen Besuch der kleinen, malerischen und alten Stadt Guthrie nicht nehmen. Dieser ca. 17000 Einwohner große Ort zeichnet sich durch viele alte, teils viktorianisch anmutende Gebäude und eine charmante, authentische Atmosphäre des Vergangenen aus. Ein Antik-Store reiht sich an den nächsten und an so manch einer Ecke fand sich auch ein mehr oder weniger fahrtüchtiges Auto, dass schon mal seine 30 oder 50 Jahre auf dem Buckel hatte. Vielleicht mag man sich ein wenig was von diesem verschlafenen Nest beim Blick auf die Bilder vorstellen...ein Besuch ist es allemal Wert, auch und gerade wenn man nicht nur für die "violent storms" hier unterwegs ist.
Während wir durch die Straßen von Guthrie schlenderten und den Kontrast zwischen alt und neu auf unseren Digicams zu bannen versuchten, bedeckte sich der Himmel immer mehr, Sonne und blauer Himmel waren nur noch im Nordwesten zu sehen. Nun muss gesagt werden, dass sich auch Sturmjäger prinzipiell über Sonne freuen, sie spielt nämlich aufgrund der Einstrahlung und Aufheizung VOR der Entstehung von Gewittern eine wichtige Rolle.
Nach einem etwa zweistündigen Aufenthalt und einem kurzen Mittagessen ging es weiter nach Norden, in Richtung unserer "Target area", unseres Zielgebietes in Südkansas, das waren noch etwa 2 1/2 Stunden Fahrt. Nach einem weiteren Stopp im (wg. eines nahegelegenen Militärflughafens recht lauten) Ort Enid in Nordwest-Oklahoma fuhren wir dann weiter gen Norden. Die ersten Gewitterstürme hatten sich zu dieser Zeit ganz im Nordwesten von Kansas gebildet, noch hunderte Meilen von uns entfernt.
Westlich von Wichita ging es bei warmem, schwülem Südwind und bewölktem Himmel über endlose Felder und Prärien (unterbrochen von winzigen Plains-Orten und von Ranches), doch bis Sonnenuntergang tat sich nichts, außer dass die Wolkendecke nach Westen und Nordwesten aufbrach. An der Kaltfront im Nordwesten von Kansas bildeten sich weitere, starke Gewitter, die langsam an Fahrt gewannen und südostwärts wanderten. Weiter südwestlich, nicht weit von uns entfernt, sollten sich an der sog. Dryline (einem Bereich mit einem starken Feuchtegradienten, der einen Fokus für die Entstehtung von Gewittern liefern kann) eigentlich weitere Zellen bilden, doch irgendeine Zutat passte nicht bzw. war nicht vorhanden. Entweder fehlte letztendlich doch ein bisschen Einstrahlung oder die Konvergenz an der Dryline reichte nicht, wer weiß...
Außer den Zellen an der KF im Nordwesten und im Norden von Kansas war nichts los. Also beschlossen wir gegen 22h30 ein Motel im Süden von Wichita aufzusuchen und dort auf Aktivität in der Nacht zu warten. Lange mussten wir uns nicht gedulden, denn in den Abendstunden bildete sich ein starker Low-Level-Jet, der von Südwestoklahoma nach Südkansas reichte und mit 30 bis 40 Knoten energiereiche Luft (Cape 2000-2500 J/kg!) heranführte. Nicht genug damit, die Scherung nahm nun recht schnell zu, das Potential für Superzellen stieg rasch an, im NOAA weather radio und in den regionalen TV-Programmen liefen die ersten Vorwarnungen und Radarbilder wurden ins laufende Programm eingeblendet. Wir waren keine halbe Stunde in unserem Motel, als draußen fast wie aus dem nichts die ersten Blitze aus noch kleinen Aufwinden zuckten. Bald darauf setzte ein kurzer kräftiger Schauer ein, das alles bei drückend schwüler Luft (T/Td: 20/18). Die richtige Show kam dann etwa eine Stunde später. Eine neue Zelle bildete sich knapp südlich und schrammte uns mit hämmerden Naheinschlägen und heftigstem Regen. Doch nicht genug, zwischen 0h30 und 3h30 zog ein MCS (Mesoscale convective system) über uns hinweg mit Wolkenbrüchen, Sturm und Dauergeblitze). Immer wieder rauschten Wassermassen vom Sturm gepeitscht über den Parkplatz und die Gebäude in der Umgebung. Die Blitze konnte man kaum noch zählen.
Erst nach vier Uhr früh ließen die Stürme langsam nach und recht erschöpft, doch mit einer netten Ausbeute auf Fotos und Videos gingen wir ins Bett. In nur etwa zwei Stunden kamen etwa 50 mm herunter, schwerste Sturmböen hatten einige Meilen südlich von unserem Standort sogar einige Waggons eines Güterzuges aus den Gleisen geschoben.
Nach einer zu kurzen Nacht machten wir uns am gestrigen Dienstag wieder auf den Weg nach Süden Richtung Oklahoma. Ziel war eine Region im Osten des Staates, für das das SPC ein Moderate Risk ausgesprochen hatte. Extrem feuchte und energiereiche Luft aus dem Golf und aus Texas zog nach eastern OK und im Laufe des Nachmittags waren hier bei moderater Scherung einzelne Superzellen mit der Gefahr von tennisballgroßem Hagel, Sturm und evt. auch Tornados zu erwarten. Als wir in Kansas losfuhren, hatten wir etwa 4/8 cu und etwas ac bei T/Td: 20/15, knappe drei Stunden später kamen wir bei 30 über 19 in Oklahoma City an. Die schwüle Hitze war krass, der Himmel war besät mit flachen cu, die Luft war diesig. Im Weather Radio wurden die Vorhersagen und Vorwarnungen allmählich eindringlicher, das Potential für schwere Unwetter mit "giant hail" und einzelnen Tornados war da. Am späten Nachmittag fuhren wir über Shawnee weiter nach Seminole, hier war es zum frühen Abend extrem schwül, wie ich es selten erlebt habe. Die Temperatur lag bei 28°C, der Taupunkt bei 22°C, tiefe Wolken zogen wild durcheinander von Nordost nach Südwest, darüber ging es von West nach Ost. Plastischer kann Windscherung kaum werden...
Die Frage war, wo sich die ersten Superzellen bilden würden und ob sie für uns erreichbar wären. Die Gegend in Ost- und Südostoklahoma ist recht waldig und hügelig, nicht unbedingt die besten Bedingungen für ein gutes Chasing, überdies war die Luft sehr diesig. Irgendwann nach 17h00 taten sich dann aus den einzelnen cu und tcu im Süden zwei enorme Zellen hervor. Die Auslösung hatte also südlich stattgefunden als vom SPC/NWS zunächst angenommen. Die Zellen bewegten sich nach Osten, bald schossen weitere, riesige Türme im Osten hoch. Wenn wir nun am Ball bleiben wollten, mussten wir auch schnell nach Osten an die Zelle heran. Also ging es auf der Interstate 40 nach Osten Richtung Henryetta und während unserer Fahrt kamen übers Weather Radio die ersten Severe Thunderstorm und Tornado warnings. Spannende Momente, Adrenalin, wenn der Scanner auf einmal laut piept und Warnungen für Counties direkt vor uns ausgegeben werden. Vor uns ein Aufwind wie ein Fels...und wir fuhren darauf zu. Bald war klar, wir müssten durch den Niederschlagsbereich der Zelle nach Osten durchbrechen, das Weather Radio warnte vor Hagel bis Golfballgröße. "Core Punching" nennt man diese Art des Durchfahrens von Regen und Hagel, ein manchmal riskantes Unterfangen. Bald sahen wir die Basis vor uns, dann die Regen- und Hagelwand. Zuerst dann Wassermassen, dann die ersten Hagelkörner, dann noch mehr Wasser und kaum 100 Meter Sicht, dann einzelne, große Hagelbrocken. Wir haben den Durchmesser auf etwa 3-4 cm bei den größten Exemplaren geschätzt, gerade noch okay fürs Auto, zumindest, wenn man steht oder nur sehr langsam fährt. Schließlich kamen wir in dem Ort Checotah an, leichter Regen und drückende Schwüle sowie gelegentliches Donnergrollen begrüßten uns. An Datencheck war nicht zu denken, in dem kleinen Örtchen gab es kein Motel mit Wifi-Zugang (der ist aber sonst fast überall vorbildlich!). Bald kam der Sonnenuntergang und plötzlich rissen die tiefen Wolken auf, ein neuer Aufwind schoß fast über uns nach oben, während im Westen der riesige Amboss der Hagelzelle sichtbar wurde. Und die Unterseite dieses Ambosses präsentierte sich mit beeindruckendem Mammatus, der von den letzten Sonnenstrahlen in fast surrealistischen Farben beleuchtet wurde. Aus dem Aufwind knapp südlich von uns zuckten einige, bläuliche Blitze, ein Zeichen, wieder in den Wagen zu steigen. Kurz davor fragten uns einige Jugendliche des Ortes, die erkannt hatten, warum wir dort waren, noch ob es Tornados geben würde. In dem drive-in-Restaurant hat sich bald herumgesprochen, dass auf dem Parkplatz nebenan eine Vierergruppemit Kameras, Camcordern, Stativen und Laptop bepackt gen Himmel schauten. Überhaupt sind Stormchaser in diesem Teil der Welt alles andere als unbekannt, an den meisten Ecken kommen wir mit Einheimischen in Kontakt, viele sind sehr interessiert und jeder hat eine kleine Geschichte zu den schweren Stürmen hier in den Plains zu erzählen...
Die kommende Stunde brachte ein weiteres, starkes Gewitter mit schwersten Regenfällen und einer dunklen, tiefen Wolkenbasis. Doch Tornados gab es nur zwei kleine weiter südlich bei McAlester. Nichts desto trotz waren die Gewitter sehr beeindruckend, ehrfürchtig beobachteten wir das Schauspiel bei weiterhin extrem feuchter, warmer Luft.
Schließlich ging es wieder westwärts Richtung Shawnee in ein Motel. Ja, einchecken in ein Motel kann man hier ebenso wie Einkaufen im Wal-Mart quasi 24 Stunden lang. Gegen 23h00 setzten wir also unsere Koffer im Zimmer ab, im Fernsehen liefen bereits neue Warnungen für Unwetter in West-Oklahoma, die sich langsam nach Osten bewegten. Dass uns zwischen 0h20 und 2h00 wieder eine bizzare Blitzshow und ein heftiger Nordweststurm erwarten würde, haben wir da noch nicht gedacht. Man stelle sich einen nächtlichen Himmel vor, der zu einem Drittel von einem riesigen Stroboskop bedeckt wird, das unaufhörlich flackert und blitzt. An Schlaf war bis nach 2h00 noch nicht zu denken.
So schwül der gestrige Tag war, so kühl und windig startete der heutige. Die Luft ist eine ganz andere, Nordwind fegt mit Böen bis ca. 60 km/h über die Plains, um 10h30 waren es gerade mal 15°C. Am heutigen Tag fuhren wir wieder nach OKC und schlossen einen ruhigen, teilweise sonnigen und sehr windigen Tag mit einem Besuch des Lake Hefners im Nordwesten von Oklahoma City ab (an selbigem See herrschte übrigens gegen 18h00 bei blauem Himmel und etwa 19 über 4 sowie kräftigem Nordwind eine Stimmung wie an der Nordsee, verrückte Plains.
Die kommenden Tage bringen erstmal sonniges Wetter und wieder steigende Temperaturen, Zeit für uns, die Stadt und die Umgebung weiter zu erkunden. Wer sagt, Oklahoma und Kansas hätten kaum was zu bieten, hat Unrecht. Bis bald...
Lars und die "Crew"
Thursday, May 11, 2006
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